Captain Faulmann im Museum Schnütgen zwischen Wunderlegenden und Gegenwart

Samstagnachmittag über Köln: Das Wetter war launisch, mal ein paar Tropfen, mal ein Schauer – doch immer wieder brach auch die Sonne hervor und legte goldene Streifen auf die Straßen. Für Faulmann war klar: kein langer Weg auf zwei Rädern, sondern ein Abstecher dorthin, wo Wärme und Geschichten warten – ins Museum Schnütgen.

Zwischen Madonnen, Heiligenfiguren und Reliquiaren blieb er plötzlich stehen. Ein Glasfenster, das in den Sonnenmomenten dieses wechselhaften Tages wie eine Flamme leuchtete, zog ihn in seinen Bann. Es zeigte den Heiligen Bernhard von Clairvaux, der einen Lästerer wiedererweckte – und eine Inschrift behauptete, dieses Wunder sei in Freiburg geschehen.

Faulmann runzelte die Stirn. Er kennt Freiburgs Geschichte von früher her ziemlich gut – und wenn es eine bekannte Wunderlegende mit Bernhard von Clairvaux in Freiburg gäbe, wäre ihm die sicher bekannt. Glücklicherweise war er gerade in einem Museum: statt auf dem Handy herumzuwischen, konnte er gleich die Kataloge und Infotafeln durchstöbern – ein echtes Rechercheparadies, zumal er mit seinen Bärenpfoten ohnehin kein Smartphone bedienen kann.

Die Lösung fand er bald: Das Fenster, das vor ihm leuchtete, stammt aus dem berühmten Bernhard-Zyklus der Abtei Altenberg. Diese Abtei war Faulmann natürlich wohlvertraut – oft hatte er auf seinen Radtouren dort Halt gemacht, den Blick hinab ins Dhünntal genossen, das Zwitschern der Vögel im Kreuzgang gehört oder einfach den alten Mauern gelauscht, die von Jahrhunderten erzählten. Im frühen 16. Jahrhundert hatten die Mönche von Altenberg den Kreuzgang ihres Klosters mit einem monumentalen Glasmalerei-Programm ausgestattet, das die Stationen im Leben des Heiligen Bernhard darstellte.

Die Angabe „Freiburg“ war dabei keine historische Tatsache – schon das Wunder selbst entzieht sich ja jeder Beweisführung. Weitere Quellen, die dieses angebliche Wunder ausdrücklich in Freiburg verorten, sind nicht bekannt; vielmehr dürfte es sich um eine künstlerische Setzung handeln, die den Betrachtern einen vertrauten Ort an die Hand gab.

Mit der Säkularisation im 19. Jahrhundert zerfiel das Klosterleben, und die Fenster wurden an viele Orte verkauft oder verschenkt. Von den ursprünglich rund 115 Scheiben des Bernhard-Zyklus sind heute noch 44 erhalten – verteilt zwischen St. Mary’s Church in Shrewsbury, dem Museum Schnütgen in Köln, der Sammlung Ludwig in Aachen, dem Metropolitan Museum in New York, Schloss Stolzenfels und sogar wieder in der Sakristei des Altenberger Doms. So stand Faulmann nun in Köln vor einem Stück Altenberger Geschichte, das hier von einem Freiburger Wunder leuchtet, von dem man nicht einmal in Freiburg weiß.

So entdeckte er an diesem wechselhaften Samstag nicht nur ein Kunstwerk, sondern eine ganze Geschichte, die zeigt, wie Legenden wandern und Wirklichkeit sich verwandelt. Das Wunder des Heiligen Bernhard fand wohl auch abseits des Fensters nie in Freiburg statt – doch im Fenster im Museum Schnütgen lebt es fort.

Und dann dachte Faulmann: Manchmal offenbart gerade ein Tag zwischen Regen und Sonne die schönsten Lichtblicke. Zumal das Museum noch mehr zu bieten hat – etwa eine eindrucksvolle Ausstellung mittelalterlicher Glasmalerei aus dem Khanenko-Museum in Kyjiw, deren Stücke wegen des Krieges vorübergehend in Köln untergebracht sind. Glas, das trotz aller Brüche weiterleuchtet, wie ein stilles Symbol der Hoffnung.

Ein merkwürdiger Kontrast: Gleich nebenan, im Rautenstrauch-Joest-Museum, beschäftigt sich eine Ausstellung mit dem Erbe kolonialer Sammlungen. Ihr Titel lautet schlicht: „I miss you“. – und beim stillen Beschauen schien es Faulmann, als würden auch die ukrainischen Fenster diese Worte leise mitsprechen.

Captain Faulmann jedenfalls findet lieber leuchtende Gäste als Beute im Keller.
Und das darf man gerne weit fassen. 🇺🇦


ℹ️ Hintergrund: Der Altenberger Bernhard-Zyklus

  • Entstanden im frühen 16. Jahrhundert für den Kreuzgang der Abtei Altenberg.
  • Ursprünglich ca. 115 Scheiben, erhalten sind heute noch 44.
  • Verteilung der erhaltenen Fenster:
    • 18 in St. Mary’s Church, Shrewsbury (England)
    • 13 im Museum Schnütgen, Köln
    • 6 in der Sammlung Ludwig, Aachen
    • 2 im Metropolitan Museum of Art, New York
    • 3 auf Schloss Stolzenfels
    • 2 in der Sakristei des Altenberger Doms
  • Die Scheiben zeigen Szenen aus dem Leben des Heiligen Bernhard von Clairvaux.
  • Heute gelten sie als eines der bedeutendsten Beispiele spätmittelalterlicher Glasmalerei.