Bunt, brüchig, bezaubernd – Köln mit Faulmann-Blick

In der Museumslobby nippt Faulmann an seinem Kaffee. Durch die großen Scheiben sieht er das Gewimmel: Menschen mit Einkaufstüten, ein Paar, das den Dom im Hintergrund fotografiert, und drinnen im Shop Karnevalskappen neben Postkarten vom CSD. Köln macht da keinen Unterschied – alles steht einfach nebeneinander im Regal.
Der Bär denkt – vielleicht reduktiv und in Klischees, aber mit einem Schmunzeln: Diese Stadt lebt nicht von einem roten Faden, sondern von einem ganzen Knäuel.Da ist der Katholizismus, jahrhundertelang das Grundrauschen. Da ist der Karneval – nicht uralt, aber so schlau erfunden, dass er sich wie ein alter Brauch anfühlt. Da ist der CSD, bunt und politisch. Und da sind die Arbeiter, die nach dem Krieg kamen: erst Italiener mit Eisdielen, Espresso und Ristorante, dann Griechen mit Tavernen und Olivenöl, Türken mit Kebap und Werkbank, später Marokkaner, Kurden, Vietnamesen und viele, viele andere. Alles Postkartenbilder, denkt Faulmann, und weiß, dass er es sich damit zu einfach macht. Aber möglicherweise wächst am Ende doch das Gefühl einer Stadt genau aus solchen Bildern. Jeder Zug brachte seinen Klang, sein Essen, seine Geschichten, seine Kultur – und Köln nahm sie auf so selbstverständlich und mit einem breiten Grinsen, wie der Köbes ein neues Glas Kölsch hinstellt.
Dazwischen wirkt ein unsichtbarer Faden: der kölsche Klüngel. Unsichtbar? Eigentlich nicht – er steht eher im grellen Neonlicht, so berühmt ist er. Jeder weiß, dass er da ist, jeder stolpert mal darüber, und trotzdem sorgt er irgendwie dafür, dass der Laden weiterläuft. Mal als Schmieröl, mal als Kaugummi – aber immer unverkennbar kölsch.
Und darunter all die Schichten: Römer, Franken, Kaufleute, Pilger, Preußen – selbst Napoleon, der hier sein französisches Recht hinterließ. Später die 90er mit ihrer Technopartimentalität, irgendwo zwischen Euphorie und Kopfschmerz. Kaum eine Stadt verträgt es, wenn römisches Pflaster, französisches Recht und orientalisches Fladenbrot im selben Atemzug genannt werden – Köln schon.
Man sieht das dem Stadtbild bis heute an: aus der Vogelperspektive noch der römische Straßenverlauf, im Detail ein barocker Giebel neben Nachkriegsplattenbau, dazwischen ein Dönerladen unter gotischem Spitzbogen. Ein Römer hätte wohl nie gedacht, dass über seine Straßen einmal ein Karnevalszug rumpelt – und dabei mehr Bier als Wasser fließt.
Natürlich: Nicht alles glänzt. Viele Straßen sind voller Schlaglöcher, auf den Brücken steht man im (Sanierungs)Stau und die U-Bahn ist eher eine Straßenbahn, die an manchen Stellen einfach im Boden versenkt wurde – teils absichtlich. Manch eine Ecke erinnert verdächtig ans Frankfurter Bahnhofsviertel und die Bahn Nummer Sieben ist rechtsrheinisch geradezu phantastisch: mehr Legende als Verkehrsmittel – ein mythisches Wesen, von dem jeder schon gehört hat, das aber kaum einer je gesehen hat. „Fast wie ein Einhorn auf Schienen,“ denkt Faulmann und lacht leise in seinen Kaffee. Köln nimmt das alles mit Schulterzucken und einem „et hätt noch immer jot jejange“ – was zwar selten stimmt, aber immerhin tröstet.
Er schmunzelt, seufzt noch einmal und denkt:
„Am Ende ist Köln fast wie ein Wald. Alte Stämme brechen, junge Triebe wachsen nach. Fruchtbare Erde entsteht aus Jahrhunderten von Wachstum, von Entstehen und Vergehen. Nichts verschwindet so ganz – es wird nur zum Boden, auf dem Neues wächst. All das klingt sicher naiv – und das ist es auch. Aber vielleicht ist es genau diese lebensbejahende Naivität, die Köln am Ende so lebenswert macht. Ein Durcheinander, das man hier eben ›unser Jeföhl‹ nennt.“