Wir hatten an diesem Tag schon genug Kunst im Kopf: erst die beiden Kölner – Seiwert mit seinen klaren Linien, Höerle mit seinen stillen Schreien. Und doch war es der Magritte, der sich im Fell des Kapitäns festhakte.

Im Museum selbst war er noch still gewesen wie ein großer Bär, der versucht, seine Gedanken nicht zu verschütten. Er stand einfach vor dem Bild, schnaubte einmal leise – dieses typische „hm“ – und ging weiter.

Erst abends, zurück zu Hause, kam es hoch.

Der Kapitän saß am Tisch, die digitale Reproduktion vor sich. Die Lampe warf warmes Licht auf den Schreibtisch, und im Monitor leuchtete der Steinblock mit der Inschrift COBLENZ. Der Adlerkopf oben drauf ragte wie ein Fremdkörper aus einer vergessenen Zeit, und rechts lehnte das große Eichenblatt wie ein müder Gruß aus einer Welt, die immer noch glaubt, sie sei unerschütterlich.

„Weißt du“, brummte er, „manchmal macht mir Zukunft mehr Sorgen als Geschichte.“

Ich setzte Tee auf. Wenn er so begann, brauchte es Zeit.

„COBLENZ mit C“, sagte er. „Diese alte Schreibweise. Römisch. Kaiserreich. Deutsches Eck. Alles in einem Wort verschraubt. Und dann setzt der Magritte da diesen Adler oben drauf. Kein Flügelschlag. Kein Himmel. Nur Stein. Nur Vergangenheit, die immer noch so tut, als würde sie wachen.“

Er strich mit einer Pfote über die Tischkante. Dieses langsame Streichen, das man bei ihm kennt, wenn es ernst wird.

„Weißt du, was mich wütend macht?“ fragte er.

Ich nickte vorsichtig.

„Dass diese alten Symbole wieder aus ihren Ecken kriechen. Adler. Eichenlaub. Als wären sie frisch poliert. Als hätte niemand begriffen, was an ihnen hängt.“

Er deutete auf den geschnäbelten Kopf, diesen starren Blick.

„Der Schnabel ist ein Haken. Und Haken bedeuten immer: Vorsicht. Da ist etwas, das du nicht siehst, das dich aber trotzdem trifft.“

Sein Fell stellte sich ein wenig auf. Er war nicht laut, aber da vibrierte etwas zwischen seinen Worten.

„Der Titel: La Fontaine de Jouvence. Der Jungbrunnen. Weißt du, was das ist?“ Er hielt inne. „Das ist Spott. Das ist Magritte, der uns sagt: Wer seine Zukunft in versteinerten Zeichen sucht, wer glaubt, aus alten Reichen Kraft zu schöpfen, der trinkt keinen Jungbrunnen. Der schluckt nur Staub.“

Der Kapitän schwieg. Draußen glitt ein Fahrrad vorbei, und sein Licht huschte kurz über die Reproduktion.

„Manchmal“, sagte er schließlich leise, „macht mir weniger Angst, was war… als das, was ist.“

Ich setzte mich neben ihn. Er legte die Pfote um seine Tasse.

„Aber immerhin“, brummte er, „gibt es noch welche, die hinschauen.“

Später, als der Kapitän schon fast eingeschlafen war, hörte ich ihn noch einmal brummen – dieses ganz leise, das man nur mitbekommt, wenn man im selben Raum bleibt.

„Weißt du… vielleicht ist der wahre Jungbrunnen nicht im Bild“, murmelte er. „Vielleicht liegt er darin, dass wir nicht aufhören, die Dinge neu zu sehen. Auch die schweren.“

Er drehte sich auf die Seite, schnaufte leise und fügte hinzu: “Am Ende gehe ich dem Magritte natürlich in die Falle.”

Ein kurzes Brummen, halb Ärger, halb Anerkennung.

“Der legt einem den Stein hin, den Adler, das Blatt – und schwupps, stolpert man genau dort entlang, wo er einen haben will. Aber im besten Sinne. Nicht als Trick, sondern als Einladung. Als würden die Symbole sagen: ‘Na los, denk weiter. Aber diesmal wach.’”

Er ließ den Satz ausklingen. Dann: “Vielleicht ist das das eigentliche Kunststück – dass man in die Falle tappt und trotzdem ein Stück klüger wieder herauskommt.”

Dann wurde es still. Nur der Wind strich gegen die Scheibe, als wollte er als würde er leise zustimmen und sagen: Das reicht für heute. Morgen sehen wir weiter.