- Entstanden im frühen 16. Jahrhundert für den Kreuzgang der Abtei Altenberg.
- Ursprünglich ca. 115 Scheiben, erhalten sind heute noch 44.
- Verteilung der erhaltenen Fenster:
- 18 in St. Mary’s Church, Shrewsbury (England)
- 13 im Museum Schnütgen, Köln
- 6 in der Sammlung Ludwig, Aachen
- 2 im Metropolitan Museum of Art, New York
- 3 auf Schloss Stolzenfels
- 2 in der Sakristei des Altenberger Doms
- Die Scheiben zeigen Szenen aus dem Leben des Heiligen Bernhard von Clairvaux.
- Heute gelten sie als eines der bedeutendsten Beispiele spätmittelalterlicher Glasmalerei.
Auf der Lichtung
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Die Nacht senkte sich wie ein Tuch über den Wald. Harzgeruch hing in der Luft, und das Feuer roch nach Asche und Kiefernnadeln. Faulmann lag ausgestreckt im Gras der Lichtung. Die Glut glomm rötlich, Funken stiegen auf, als wollten sie in die Sterne fliehen. Halb träumend, halb denkend blinzelte der Bär in die Dämmerung.
Da knackte ein Ast. Leise, fast zögerlich, trat Liora, die Füchsin, hervor. Sie war nicht fremd hier. Mehr als einmal hatte Faulmann sie schon gesehen, immer aus der Ferne, immer auf Abstand.
„Guten Abend, Liora“, brummte er, kaum den Kopf hebend. Seine Stimme trug diesen respektvollen Ton, den er sonst nur für die Alten im Wald hatte.
Die Füchsin blieb stehen. Ihr Schweif bewegte sich langsam wie eine lose Flamme im Wind. Scheu, doch nicht flüchtig. Faulmann machte keine Bewegung, um ihr näherzukommen. Er ließ die Stille stehen, wie ein offenes Tor.
Und dann geschah es: Ihre Blicke trafen sich. Nicht absichtlich, nicht gesucht – eher wie zwei Strahlen, die denselben Punkt berühren. Ein Schauer lief Faulmann über den Rücken. In Lioras Augen lag kein Angriff, keine Zärtlichkeit – sondern etwas dazwischen. Ein Spiegel. Und in diesem Spiegel blitzte eine Ahnung auf, schwer wie Rauch: die Angst, dass man nichts tut.
Vor seinem inneren Auge erhob sich eine Szene, flackernd wie Schatten im Feuer:
Dachsbert trat auf die Lichtung, ließ sich nieder und sagte:
„Faulmann, es wird Zeit, dass man endlich etwas gegen diesen ganzen Machtunsinn tut.“
Da richtete sich der Bär auf, brummte:
„Du … und welche Armee, Dachs? Mit den Hasenfüßen vielleicht – die sich im vorauseilendem Gehorsam gebückt haben, nur damit ja nichts aufs Spiel kommt? Mit denen, die groß brüllten freedom isn’t free – und dann war selbst der kleinste Preis zu groß? Dass ich nicht lache.“
Dann kam Mummrich aus dem Schatten, fragte: „Um was geht es denn hier?“ – und Faulmann erklärte ihm alles.
Mummrich sog an seiner Pfeife und sprach:
„Viele Jahre haben alle gelernt, dass man vor den kleinen Wirrköpfen nachgeben darf – solange jemand, den wir nicht kannten, die Rechnung dafür bekam. Solange es uns gerade bequem war, à la mode. Da wird jetzt kaum Widerstand erwachsen, wenn es sogar mühselig und teuer wäre.“
Faulmann wiegte den Kopf hin und her, brummte:
„Ach, so schlimm wird’s schon nicht werden … Sturm im Wasserglas.“
Und Dachsbert murmelte nur:
„Hm … wenn ihr meint?“
Dann zerbrach der Spiegel. Liora blinzelte, wandte den Kopf zur Seite und verschwand im Gebüsch.
Faulmann atmete tief durch.
Da knackte es im Unterholz – diesmal wirklich. Mit schwerem Schritt trat Dachsbert auf die Lichtung, schnaubend, als hätte er den ganzen Hang umgepflügt. Er ließ sich neben dem Feuer nieder, klopfte die Erde aus seinem Fell und sagte:
„Faulmann, es wird Zeit, dass man endlich etwas gegen diesen ganzen Machtunsinn tut.“
Der Bär schwieg einen Augenblick, sah das Feuer an, dann legte er Dachsbert die schwere Pranke auf die Schulter.
„Weißt du,“ brummte er, „wo Dachse mutig werden können … da dürfen Bären nicht nichts tun.“
Da trat auch Mummrich aus dem Schatten, die Grubenlampe in der einen, die Pfeife in der anderen Pfote.
„Um was geht es denn hier überhaupt?“ fragte er, mit seiner ruhigen, etwas müden Stimme.
Faulmann nickte in Richtung Dachsbert. Der Dachs räusperte sich, beschämt, aber mit einem Rest von Mut, und wiederholte, was er eben gesagt hatte.
Mummrich hörte schweigend zu, sog an seiner Pfeife und sprach dann mit der Gelassenheit alter Weisheit:
„Dann sei’s so … selbst ein Blinder riecht es, wenn jemand Feuer an die Grundmauern legt – und drei Mann und ein Licht sind zwar noch kein Ozean, aber immerhin schon mehr als ein Rinnsal.“
Das Feuer knackte zustimmend. Und aus dem Dunkel des Waldes kam ein leises Rascheln – als habe jemand gelauscht, der lieber unsichtbar blieb.
Captain Faulmann zwischen Elefanten, Ursula und alten Meistern
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Mit dem Rad rollte Captain Faulmann am Morgen durch Köln, vorbei an Straßenverkehr und Morgengeräuschen. Das Ziel war der Zoo, seit kurzem wieder ein beliebter Frühstücksort für ihn. Kurz nach neun stapfte er durch den Nebeneingang – den kennt er, und dort ist es ruhiger. Im Rucksack knisterte ein Croissant, das er bei den Elefanten zusammen mit dampfendem Kaffee auspackte. Nach einer Weile in der Sonne, die ihm die morgendliche Kühle aus dem Fell bannte, und einem Spaziergang vorbei an Pinguin, Nashorn und Nilpferd ging es weiter: wieder aufs Rad, hinüber zum Wallraf-Richartz-Museum.
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Faulmann hatte sich vorgenommen, nicht gleich das ganze Museum in einem Schwung zu betrachten. Schon aus der Erfahrung der Vorwoche im Schnütgen wusste er, wie dicht und fordernd die mittelalterliche Kunst sein konnte. Und so bot sich der Mittelalter-Teil des Wallraf nicht nur wegen der chronologischen Ordnung an, sondern auch, weil er die Brücke zu jener Erinnerung schlug.
Am längsten blieb er dennoch vor den Ursula-Bildern stehen – einer heiligen Legende, die, wie man ihm verschwörerisch zuflüstern möchte, eigentlich jeder Kölner kennen sollte. Die Tafeln erzählten von der sozusagen kleinen Bärin Ursula, einer Königstochter aus Britannien, die sich in puncto Ehe nicht lumpen ließ: Bräutigam ja – aber bitte erst nach Taufe, und vorher eine kleine Pilgerfahrt mit Gefährtinnen. Elf an der Zahl – inklusive Ursula. Damit war die Truppe streng genommen so etwas wie die erste Damenmannschaft des 1. FC Köln: gut aufgestellt, international unterwegs und mit klarer Spielordnung. Dass daraus später „elftausend“ wurden, war dann wohl der erste kölsche Karnevalswitz in lateinischer Kurzschrift („XI M“).
Schon unterwegs, so munkeln die gelehrteren Fassungen, habe Ursula geahnt, dass das alles kein Junggesellinnenabschied mit Heimkehr werden würde, sondern ein direkter Weg ins Martyrium. Ein göttlicher Traum, ein Wink mit dem Schicksalsfahnenmast – und schon war klar: Rom ist nur Zwischenstation, Köln das Finale.
Vor den Toren eben dieser Stadt standen dann die Hunnen. Mal heißt es, Attila selbst habe sein Herz an Ursula verloren, mal war es nur sein Sohn. In jedem Fall: schlechte Partie. Ursula blieb standhaft, worauf die Hunnen kurzerhand die gesamte Schar niedermachten. Ursula bekam den Pfeil, Cordula die Nachspielzeit: Erst versteckte sie sich vor Angst, dann erschien ihr ein Engel, und am nächsten Morgen trat sie selbst an – und wurde prompt ebenfalls zur Märtyrerin.
Warum die Hunnen danach die Belagerung abbrachen? Nun, die Quellen sind sich uneins. Manche sagen: aus Ehrfurcht. Andere: wegen göttlicher Strafe. Wieder andere: weil sie schlicht genug Blut vergossen hatten. Man könnte auch sagen: Köln war ihnen einfach zu anstrengend.
So wurde Ursula die Stadtpatronin von Köln, woran nicht nur das Kölner Stadtwappen erinnert, sondern auch die St.-Ursula-Kathedrale, wo noch heute die angeblichen Gebeine lagern.
Da stand Faulmann nun, mitten in Köln, und musste sich ein wenig verlegen am Kopf kratzen: All das war ihm bislang kaum bekannt – und das nach fast sieben Jahren in dieser Stadt. Ausgerechnet ihm, der doch, streng genommen, von den Ursulinen „abstammt“. Denn Ursula heißt seine Großmutter, und es ist der zweite Vorname seiner Mutter. Ein bisschen peinlich vielleicht, aber umso schöner, diese Geschichte nun in einem Museum wiederzufinden – Kunst soll ja etwas mit einem machen. Nennen wir es einen Erfolg…
Neben den Ursula-Tafeln gab es dort noch vieles mehr zu sehen: Sebastian, der nicht tot zu bekommen war, Magdalena, die Engel täglich in die Lüfte trugen, und Hiob, dem Dürer selbst in der Gestalt eines Trommlers Trost spenden wollte. Auch die „Muttergottes in der Rosenlaube“ von Stefan Lochner leuchtete in sattem Rot und Blau – ein Bild, das schon Dürer eigens hatte aufschließen lassen. All das war nicht nur Kunstgeschichte, sondern wirkte wie eine Folge kleiner Begegnungen – und einmal mehr die Einsicht, dass das Mittelalter eine recht düstere Kunst hervorgebracht hat, die trotzdem voller Licht und Farben ist.
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So verschmolzen an diesem Tag Croissant und Kaffee bei den Elefanten, Radrouten durch die Stadt und ein Museum voller Heiligenbilder zu einer kleinen Offenbarung: dass manchmal selbst die eigene Herkunft wie eine Ausstellung ist – man muss nur den richtigen Saal betreten.
Einen kleinen Espresso gab’s danach noch im Museumscafé, doch für eine Portion frittierte Kartoffeln war Faulmann die Stadt dann zu voll – vielleicht auch, weil er sich dachte: Wenn Ursula schon Attila abwies, kann er wohl auch mal die Frittenbude meiden.
Wo Glas Geschichten erzählt
Captain Faulmann im Museum Schnütgen zwischen Wunderlegenden und Gegenwart
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Samstagnachmittag über Köln: Das Wetter war launisch, mal ein paar Tropfen, mal ein Schauer – doch immer wieder brach auch die Sonne hervor und legte goldene Streifen auf die Straßen. Für Faulmann war klar: kein langer Weg auf zwei Rädern, sondern ein Abstecher dorthin, wo Wärme und Geschichten warten – ins Museum Schnütgen.
Zwischen Madonnen, Heiligenfiguren und Reliquiaren blieb er plötzlich stehen. Ein Glasfenster, das in den Sonnenmomenten dieses wechselhaften Tages wie eine Flamme leuchtete, zog ihn in seinen Bann. Es zeigte den Heiligen Bernhard von Clairvaux, der einen Lästerer wiedererweckte – und eine Inschrift behauptete, dieses Wunder sei in Freiburg geschehen.
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Faulmann runzelte die Stirn. Er kennt Freiburgs Geschichte von früher her ziemlich gut – und wenn es eine bekannte Wunderlegende mit Bernhard von Clairvaux in Freiburg gäbe, wäre ihm die sicher bekannt. Glücklicherweise war er gerade in einem Museum: statt auf dem Handy herumzuwischen, konnte er gleich die Kataloge und Infotafeln durchstöbern – ein echtes Rechercheparadies, zumal er mit seinen Bärenpfoten ohnehin kein Smartphone bedienen kann.
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Die Lösung fand er bald: Das Fenster, das vor ihm leuchtete, stammt aus dem berühmten Bernhard-Zyklus der Abtei Altenberg. Diese Abtei war Faulmann natürlich wohlvertraut – oft hatte er auf seinen Radtouren dort Halt gemacht, den Blick hinab ins Dhünntal genossen, das Zwitschern der Vögel im Kreuzgang gehört oder einfach den alten Mauern gelauscht, die von Jahrhunderten erzählten. Im frühen 16. Jahrhundert hatten die Mönche von Altenberg den Kreuzgang ihres Klosters mit einem monumentalen Glasmalerei-Programm ausgestattet, das die Stationen im Leben des Heiligen Bernhard darstellte.
Die Angabe „Freiburg“ war dabei keine historische Tatsache – schon das Wunder selbst entzieht sich ja jeder Beweisführung. Weitere Quellen, die dieses angebliche Wunder ausdrücklich in Freiburg verorten, sind nicht bekannt; vielmehr dürfte es sich um eine künstlerische Setzung handeln, die den Betrachtern einen vertrauten Ort an die Hand gab.
Mit der Säkularisation im 19. Jahrhundert zerfiel das Klosterleben, und die Fenster wurden an viele Orte verkauft oder verschenkt. Von den ursprünglich rund 115 Scheiben des Bernhard-Zyklus sind heute noch 44 erhalten – verteilt zwischen St. Mary’s Church in Shrewsbury, dem Museum Schnütgen in Köln, der Sammlung Ludwig in Aachen, dem Metropolitan Museum in New York, Schloss Stolzenfels und sogar wieder in der Sakristei des Altenberger Doms. So stand Faulmann nun in Köln vor einem Stück Altenberger Geschichte, das hier von einem Freiburger Wunder leuchtet, von dem man nicht einmal in Freiburg weiß.
So entdeckte er an diesem wechselhaften Samstag nicht nur ein Kunstwerk, sondern eine ganze Geschichte, die zeigt, wie Legenden wandern und Wirklichkeit sich verwandelt. Das Wunder des Heiligen Bernhard fand wohl auch abseits des Fensters nie in Freiburg statt – doch im Fenster im Museum Schnütgen lebt es fort.
Und dann dachte Faulmann: Manchmal offenbart gerade ein Tag zwischen Regen und Sonne die schönsten Lichtblicke. Zumal das Museum noch mehr zu bieten hat – etwa eine eindrucksvolle Ausstellung mittelalterlicher Glasmalerei aus dem Khanenko-Museum in Kyjiw, deren Stücke wegen des Krieges vorübergehend in Köln untergebracht sind. Glas, das trotz aller Brüche weiterleuchtet, wie ein stilles Symbol der Hoffnung.
Ein merkwürdiger Kontrast: Gleich nebenan, im Rautenstrauch-Joest-Museum, beschäftigt sich eine Ausstellung mit dem Erbe kolonialer Sammlungen. Ihr Titel lautet schlicht: „I miss you“. – und beim stillen Beschauen schien es Faulmann, als würden auch die ukrainischen Fenster diese Worte leise mitsprechen.
Captain Faulmann jedenfalls findet lieber leuchtende Gäste als Beute im Keller.
Und das darf man gerne weit fassen. 🇺🇦